2023 ist es angesagt, das eigene Sein in einem ganzheitlichen Wellbeing-Konzept zu fördern, um so das Leben nachhaltig zu verbessern und Körper und Geist in Harmonie zu bringen. Das luxuriöse Hauptquartier des Wellness-Unternehmens Goop in Los Angeles lädt durch seine ausgewählte Einrichtung in Pastellfarben zur Entspannung ein.
Gwyneth Paltrow, die Gründerin, erzählte 2020 ihrer Anhängerschaft in der Netflix-Dokumentation „The Goop Lab“ von dem neusten Trend in Sachen Wellness. Man könnte annehmen, dass sie persönlich die Entspannungskultur des gesamten Landes entwickelte: Ihr Team testete verschiedene Wellness-Drogen, die Wim-Hof-Kältetherapie, Vampire Lifting und spirituelle Heilung. Paltrow erwirtschaftet sich ein beträchtliches Vermögen, indem sie ihre Ideen des Wohlbefindens auf Duftkerzen, Ergänzungsmitteln und Räucherstäbchen projiziert. Ist dies die Zukunft des Wellness-Sektors und das, was Menschen benötigen, um nachhaltiges Wohlbefinden zu erlangen?
Der Wirtschaftsbereich hat in den Pandemiejahren starke Beeinträchtigungen erlitten: Laut Global Wellness Institute ist der Wellness-Tourismus zwischen 2019 und 2020 um ungefähr 40 % abgenommen.Ophelia Yeung, eine Forscherin des Global Wellness Institute, formuliert in ihrem jährlichen Bericht: „2020 wird als ein Wendepunkt in Erinnerung bleiben, der die Geschichte und den Verlauf der Wellness-Ökonomie für immer in eine vergangene und eine zukünftige Zeit teilen wird." Yeung behauptet jedoch, dass Wellness als ein Lifestyle-Konzept auch auf lange Sicht einer der großen Gewinner dieser Krise sein wird.
Die Menschheit sieht sich jetzt völlig neuen, schwierigen Aufgaben gegenüber, die es zu meistern gilt und welche eine Art von Stress hervorrufen, die noch niemals zuvor da gewesen ist. Zudem muss man Wege finden, um wieder zu innerem Frieden zu gelangen. Können uns kurze Aufenthalte in riesigen Bädern und Saunen wirklich ausreichend entspannen? Ein wenig planschen und schwitzen - und schon sind wir wieder fit und gestärkt?
Lutz Hertel, Präsident des Deutschen Wellness-Verbands, sieht das vorherrschende Verständnis von Wellness eher kritisch. Für ihn hat es nicht viel mit dem High-Luxury-Segment der Spas zu tun, das man vor allem in ausgewählten Hotels findet. Der Experte strebt eine dauerhafte Art des Wohlbefindens an. Ende der 50er Jahre wurde Wellness in den USA als Begriff etabliert, dank des Sozialmediziners Halbert L. Dunn. Er kreierte den Ausdruck „High Level Wellness“, womit er eine Gesundheit definierte, die über eine Krankheits- und Beschwerdefreiheit hinausgeht.
Der Experte betonte, dass jedem Einzelnen die Verantwortung für dieses optimale Wohlbefinden übertragen wird. Dunn betrachtete Wellness als ein Mittel, um das persönliche Bestmögliche sowohl körperlich als auch geistig zu erreichen. Für ein Gefühl von Wohlbefinden sind auch die sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Bedingungen relevant. Wellness und Belastbarkeit haben also wenig damit zu tun, dass man sich schöner, entspannter und leistungsfähiger fühlt, ohne dafür etwas machen zu müssen. Im Gegenteil: Es ist unmöglich, an einem Tag im Day Spa für eine beträchtliche Summe an Geld Wellness zu erwerben.
Aktuelle Fortschritte lassen eine Wiederkehr zu der ursprünglichen Beschreibung von Dunn erkennen: „Wellness wird immer häufiger mit Selbstbetätigung in Verbindung gebracht: Wandergenuss, Plogging, Waldaufenthalt, Mediation, Engagement für die Ökologie“, so Hertel. Demnach schreitet das moderne Prinzip Wellness fort von dem Gedanken, dass man sich abschalten und die Umgebung um sich herum ausblenden müsse. Eine umfassende Wellness-Strategie soll dazu beitragen, das Leben nachhaltig zu optimieren und Körper und Seele jeden Tag in Harmonie zu versetzen. Renommierte Luxushäuser reagieren auf diesen Trend? Chanyapak Suwankantha, Direktorin des Resorts „Chiva-Som“ in Thailand, setzt auf das neue Verständnis von Gesundheit: „Seit Beginn der Pandemie wird unser Fokus auf die persönlichen Anforderungen und die Gesundheit in diesen nachpandemischen Zeiten gelegt.
Es ist vielen schnell klar geworden, dass sich Gesundheit und Wohlbefinden innerhalb eines Augenblicks ändern können. Dies hat dazu geführt, dass Menschen ein umsichtigeres Verhalten in Bezug auf ihre Körper an den Tag legen“, sagt Suwankantha. Lutz Hertel vom Deutschen Wellness Verband ist ebenfalls der Meinung, dass ein Wellness-Urlaub Menschen dazu anregen sollte, wie sie in ihrem täglichen Leben ein glückliches und zufriedenes Leben führen können. In meinem Wellness-Urlaub möchte ich Nutzen aus meinen Erfahrungen ziehen, die ich als Anregung mit nach Hause nehme und dort anwende. Können mir hierfür teure Duftkerzen, luxuriöse Cremes und extravagante Infrarotkabinen oder gar ein Massagesessel helfen? Sie können sicherlich für kurze Zeit die Entspannung bringen, aber mit der grundlegenden Idee von Wellness haben sie wenig zu tun. Daher sollten Wellness-Erlebnisse in der post-pandemischen Zeit vor allem den Stress, die Unsicherheit, die körperlichen und psychischen Probleme lindern.
Die US-amerikanische Hotelkette Miraval hat ein Wellness-Programm mit dem Namen „Journeys with Intention“ ins Leben gerufen, das den spezifischen Bedürfnissen gerecht wird. Es richtet sich an Personen, die sich in einer Trauerphase befinden oder nach einer inneren Verbindung streben. Die Tagesabläufe bestehen aus körperlichen Betätigungen und therapeutischen Aspekten. Schlaf-Retreats werden immer populärer und das „Lake Nona Wave Hotel“ in Orlando hebt sie auf ein völlig neues Niveau. Als Highlight kombiniert es hierbei Schlafoptimierung und maschinelle Intelligenz, um Bett und Umgebungsbedingungen an die persönlichen Bedürfnisse anzupassen.
Temperatureinstellung, Beleuchtung nach dem inneren Takt und Betten, die Schlafphasen analysieren, sind Teil der Ausstattung. Aufgrund der strengen Reiseeinschränkungen und des wachsenden Bedürfnisses nach Wohlbefinden inmitten der weltweiten Krise wurden die Vorzüge digitaler Optionen verdeutlicht. Wellness ist somit heutzutage eine Art Strategie zur Befriedigung des Wohlbefindens in schwierigen Zeiten. Ein Ziel, das man sich setzen sollte, ist es, tägliche Rituale zu schaffen, welche das Gefühl der Selbstwirksamkeit und des Wohlbefindens erhöhen. Man muss kein extravagantes Vermögen ausgeben, wie es Gwyneth Paltrow in ihrer Netflix-Dokumentation tut.
Heutzutage wird psychische Gesundheit gleichrangig neben dem körperlichen Wohlergehen betrachtet. Das eine ist ohne das andere schlichtweg nicht vorstellbar. Wellness-Einrichtungen haben erkannt, dass eine Rückenmassage oder eine Viertelstunde im Wasserbecken allein nur temporäre Erleichterung bringt, wenn es um die Seelengesundheit geht. Dadurch schafft man einen neuen Schwerpunkt, der das Potential besitzt, den Alltag nachhaltig zu verändern und sämtliche Faktoren des Wohlbefindens zu vereinigen. Es sieht so aus, als würde die Wellness-Industrie wieder zu ihrem Ursprungspunkt zurückkehren, der vor der Pandemie durch das ständige "Mehr, schneller, weiter" beinahe untergegangen war. Und das wäre ja schon mal ein sehr positives Zeichen.